01|05|2010

medAmbiente

Jenseits des Dekors

Patientenzimmer zwischen Hightech und Wohlfühlambiente

Ein Beitrag von Joachim Welp.

Mit der Gestaltung und Einrichtung von Patientenzimmern befassen sich Klinikbetreiber und Architekten bei jedem Neu- oder Umbau eines Krankenhauses, aber muss das Rad wirklich jedes Mal neu erfunden werden? „Hotelstandard“ ist als Schlagwort zumindest bei Wahlleistungszimmern inzwischen an der Tagesordnung. Worin besteht aber die Qualität eines Patientenzimmers jenseits von Komfort und Dekor? Was macht das viel beschworene Wohlfühlambiente tatsächlich aus? Die Architektengruppe Schweitzer + Partner hat Standards entwickelt, an denen sich Patientenzimmer in Zukunft messen lassen müssen.

Es gibt einige wesentliche Trends im medizinischen und gesellschaftlichen Rahmen, mit denen die Ausstatter von Patientenzimmern konfrontiert werden. Dazu zählen beispielsweise: Die demografische Entwicklung, „Aging Babyboomers“, zu wenig Pflegepersonal, veränderte familiäre Situationen, Implikationen der Kinderlosigkeit für die Pflege, zunehmendes Übergewicht, veränderte Krankheitsbilder sowie sozialpolitische Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Gesundheitssystems.

 

Patientenzentrierte Sicht

Den Blick „vom Bett aus“ nennt Bernd Perner (in medAmbiente Ausgabe 6, 2008) die patientenzentrierte Sicht auf die Gestaltung des Patientenzimmers, die zu einer für alle Beteiligten des Krankenhausprozesses (Patienten, Pflegepersonal, Ärzte, Angehörige) befriedigenden Lösung führt. Diese Lösung beinhaltet laut verschiedenen internationalen, teils interdisziplinären Studien: optimale Genesung, Wiedererlangung von Autonomie und Kommunikationsfähigkeit, Wohlbefinden, eine Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen, Minimierung von Stress, Ermöglichung von Privatsphäre sowie (äußere und innere) Orientierung. Dies gilt gleichermaßen für Schwerkranke wie für fast Gesunde. Die Gestaltung sollte also diese verschiedenen Nutzerbedürfnisse berücksichtigen. Laut Oberascher/Gallmetzer (Vortrag auf dem Kongress „Infusion“, 2004) kann ein ausgewogenes Verhältnis von Anregung und Beruhigung, Ordnung und Variabilität, Verwandtschaft und Kontrast die Funktion eines Raumes unterstützen. Der Raum hat die Aufgabe, den Menschen Heilung zu vermitteln, statt ihre Krankheit zu bestätigen. So sollten Architektur, Innenarchitektur und Design Teil der Therapie werden. Die Aufenthaltsqualität beeinflusst auch das Miteinander des medizinischen Personals und unterstützt so indirekt ebenfalls die Genesung.

 

Farbe macht gesund

Seit Jahrtausenden befassen sich Menschen mit den Auswirkungen von Farben auf das physische und psychische Wohlbefinden, angefangen von der indischen Farben- und Chakrenlehre, über Feng Shui und Theresa von Ávila im 16. Jahrhundert, Goethes Farbenlehre oder Rudolf Steiners anthroposophische Schule bis hin zu modernen bildgebenden Verfahren, die all diese Theorien neurowissenschaftlich untermauern sollen. Die Erfahrung zeigt, dass Farbkonzepte für Patientenzimmer sehr gut angenommen werden und sowohl die Aspekte Wohlbefinden und Genesung als auch den Aspekt der Orientierung unterstützen können.

Bei der Farbwahl sollte die Problematik verfälschter Hautfarben durch Simultankontraste beachtet werden, außerdem die „Energieeffizienz“ der verschiedenen Farben (= Reflexion des eintreffenden Lichts mit Wirkung auf die Raumhelligkeit: 90 % bei Weiß, nur 20 % bei Grau!). Zudem muss die gewählte Farbe von der Art der zu erwartenden Patienten und ihrer Erkrankung abhängen: keine dunklen Farben in der Psychiatrie, wenig Pastellfarben in der Geriatrie (vgl. Friedrich Schmuck in AIT 11/2008). Im Übrigen gelten die hinlänglich bekannten Gesetze „Rot regt an, Blau beruhigt und gibt Sicherheit, Grün macht Hoffnung“ (Rita Pohle). Verschiedene Farbabstufungen können dem Raum Struktur verleihen. Aus patientenzentrierter Sicht ist übrigens vor allem der Deckenanstrich bedeutsam für das Wohlbefinden, denn der Blick „vom Bett aus“ geht ja vor allem nach oben.

Zonenkonzept und Lichtplanung

Das ideale Patientenzimmer beinhaltet amerikanischen Studien zufolge drei Zonen, die durch die Wahl entsprechender Farben und Materialien gekennzeichnet sein können: die Patientenzone mit Bett und Nachttisch, eine Personalzone mit Waschbecken, Desinfektionsstation und Schreibtresen und eine Besucherzone mit Aufenthaltsmöglichkeit. Zugang ist jeweils das Schlüsselwort für die ideale Raumaufteilung: Zugang des Pflegepersonals zum Patienten, Zugang des Patienten zum Bad sowie Zugang aller Beteiligten zu Informationen. Le Corbusiers Leitgedanke „das richtige Licht zur richtigen Zeit in der richtigen Menge“ gilt selbstverständlich auch im Krankenhaus. Die Lichtplanung muss deshalb die folgenden Bedarfssituationen berücksichtigen: Die Allgemeinbeleuchtung als möglichst gleichmäßige und blendfreie Grundbeleuchtung wird ebenso benötigt wie eine blendfreie Untersuchungsbeleuchtung mit hoher Lichtstärke und bester Farbwiedergabe, möglichst als steuerbares Direktlicht. Dazu kommen eine Lesebeleuchtung mit vom Patienten individuell steuerbarem Direktlicht sowie ein Orientierungslicht, also ein sanftes Nachtlicht mit geringem Energieverbrauch. Bei einer patientenzentrierten Planung sollte es selbstverständlich sein, dass die Beleuchtung ebenso wie die Fensterverdunkelung vom Bett aus bedient werden kann. Moderne Leuchtensysteme beinhalten eine automatische Steuerung, die Lichtintensität und Lichtfarbe (Blau beruhigt, Gelb wärmt) dem natürlichen Tagesablauf anpassen und so das Wohlbefinden des Patienten positiv beeinflussen.


Holz ist erste Wahl

Umfragen haben gezeigt, dass vor allem Patienten die Verwendung von Holz in
Krankenhauszimmern befürworten. Obwohl aus krankenhaushygienischer Sicht keine Notwendigkeit für antibakteriell wirksame Oberflächen besteht, begegnen wir doch hier immer wieder Vorbehalten. Diese können aber durch neuste Studienergebnisse entkräftet werden. Um den angestrebten Hotelzimmer-Charakter zu erreichen, ist Holz für die Möblierung von Patientenzimmern heute erste Wahl. Auch große Teile der Technik (Anschlüsse für Sauerstoff, Druckluft und weitere medizinische Geräte sowie für das Internet) können in Form eines Medientableaus unauffällig in Holzwände integriert werden. In der Personalzone des Zimmers sollte man allerdings aus hygienischen Gründen nicht auf Metall, Glas und Kunststoffe verzichten.

 

Standard für Patientenzimmer

Als Kondensat aus den gewonnenen Erkenntnissenhat die Architektengruppe Schweitzer + Partner einen Standard für Patientenzimmer definiert, der unter dem Schlagwort „Lipper Zimmer“ zuerst in Detmold, inzwischen aber auch in verschiedenen anderen Krankenhäusern umgesetzt wurde:

  • Ein hochwertiges und zurückhaltendes Farb- und Materialkonzept steigert das Wohlbefinden und unterstützt die Genesung. Zur Anwendung kommen warme Holz- und Pastelltöne, die teilweise in Spachteltechnik aufgebracht werden.

  • Das Beleuchtungskonzept wird von spezialisierten Krankenhaus-Lichtplanern entwickelt. Verwendet werden hochwertige Multifunktionsleuchten von renommierten Leuchtenherstellern.

  • Als Bodenbelag wird Bambus-Parkett oder Linoleum in warmer, freundlicher Optik verlegt.

  • Gut ausgestattete, mehr als 4 m² große Bäder sind die Regel.

  • Die Patientenzimmer haben möglichst nur ein und höchstens zwei Betten.

  • Der Zimmer-Grundriss ist nahezu quadratisch. Dies schafft eine im Vergleich zu herkömmlichen Bettenzimmern breitere Fensterfront und bringt Raum für einen bequemen Sitzplatz am Fenster.

  • Jedes Bett verfügt über einen eigenen Flachbildschirm mit Fernseh- und WLAN Anschluss. Über ein Medienboard mit indirekter Beleuchtung werden Telefon, Internet sowie verschiedene hausinterne Anwendungen wie etwa Essensbestellungen bereitgestellt.

  • Die Bettenzimmer werden aktiv belüftet und verfügen über individuell zu steuernde Sonnenschutzanlagen, außerdem werdensie durch Bauteilaktivierung temperiert.

  • Die großflächigen Holzrahmenfenster lassen sich öffnen. Sie sind entweder bodentief oder haben eine niedrige Brüstungshöhe, sodass ein Ausblick aus dem Fenster auch vom Bett aus möglich ist. Durch den so gewonnenen Innen-/Außenbezug verbessert sich die Orientierung im Gebäude.